Klima-Diskussion hinterlässt Spuren an der Wall Street

15.10.2020

Die Aktien von etlichen CO2-intensiven Branchen stehen unter Druck. So ganz eindeutig sind die Ursachen aber nicht. Je nach Lesart ergeben sich unterschiedliche Chancen für Anleger. Bei den Solartechnologieanbietern haben Hersteller wie Solaredge, Sunpower und Enphase stark zugelegt

Vom Klimaschutz wird im heurigen US-Wahljahr bestimmt noch viel zu hören sein. Interessanterweise hat die Wall Street dazu bereits ihre Stimme abgegeben. Seit Jahresanfang hat nämlich eine Rotation stattgefunden, die in Wall-Street-Kreisen bereits mit Spitznamen wie CO2-Rotation oder «Climate-Trade» dokumentiert wird. Es geht dabei um den Verkauf von CO2-intensiven Sektoren und den gleichzeitigen Kauf von Branchen, die sich des Problems mit Lösungen annehmen.

Serbelnde Aktien von grossen Automobilherstellern

Im Zentrum steht dabei unter anderem die Erdölindustrie, deren Ansehen nun wohl auch in Finanzkreisen tief gesunken ist. Blue-Chip-Aktien wie ExxonMobil oder Chevron sind seit Jahresanfang stark gefallen. Auch andere grosse CO2-Emittenten wie beispielsweise der Kohleförderer Peabody Industrie oder die Erdgasförderer mussten in den letzten Wochen herbe Verluste hinnehmen.

Schliesslich hat es auch die Autohersteller erwischt, die von der Wall Street offenbar ebenfalls auf die falsche Seite der CO2-Rotation gesetzt werden. Besonders stark betroffen ist Ford, wo der CEO Jim Hackett letzte Woche einen erneuten Rückschlag hinnehmen musste. Auch die Titel der beiden Detroiter Nachbarn Fiat Chrysler und General Motors haben sich heuer schwergetan. Man wird das Gefühl nicht los, dass die Anleger das Vertrauen in die nachhaltige Performance des traditionellen Autosektors verloren haben.

Hoffnungsträger erneuerbare Energieformen

Auf der positiven Seite der CO2-Rotation sehen die Auguren unter anderem Tesla, wo sich die Aktien seit Jahresanfang sehr stark entwickelt haben. Während der Elektroautohersteller zweifellos einen Grossteil der Aufmerksamkeit auf sich zieht, ist das Kapital allerdings auch anderswohin geflossen. Im Solarbereich haben beispielsweise die Titel von Solartechnologieanbietern wie Sunpower, Enphase oder Solaredge stark zugelegt.

Bemerkenswert ist auch die Performance von NextEra Energy, einem Elektrizitätsunternehmen aus Florida, dessen Aktien im Branchenvergleich ebenfalls weit besser abgeschnitten haben. NextEra Energy hat sich mit den Jahren als Branchenleader im Bereich von erneuerbaren Energieformen positioniert. Laut Angaben des CEO Jim Robo sind Energieformen wie Wind- und Solarkraft bereits heute kostenmässig günstiger als fossile Brennstoffe. Allein das Problem der Speicherung sei noch zu lösen, um die weitere Entwicklung dieser Technologien voranzutreiben.

Fundamentale Erklärungen für schwächere Erdöl-Nachfrage

Aus Sicht der Anleger stellt sich hier die Frage, ob man auf diesen Zug aufspringen soll. Oder handelt es sich nur um eine kurzfristige Euphorie? Im Gespräch mit Fondsmanagern kommt dabei eine gespaltene Meinung auf. Zum einen sehen viele diese Rotation als Resultat von Initiativen wie etwa dem Jahresbrief des Blackrock-Chefs Larry Fink, der darin kürzlich zum Umdenken aufgefordert hat. Blackrock ist ein Vermögensverwalter mit über 2 Bio. $ und kann daher durchaus solche Umschichtungen auslösen.

Zum anderen weisen die Fondsmanager jedoch auch darauf hin, dass es genügend fundamentale Gründe gibt, warum zum Beispiel Erdöl heuer so schlecht abgeschnitten hat. Allein die Coronavirus-Epidemie in China habe einen Grossteil der globalen Erdöl- und Erdgasnachfrage kurzfristig stillgelegt. Das kann sich schnell ändern, und dadurch könnten sich auch die Aktien der Branche schnell wieder erholen. Wie viel Klima-Überlegungen wirklich in den Aktien steckt, wird sich erst langfristig zeigen.

Quelle: NZZ

Merklisten